F2-Tornado in Boisheim (Nordrhein-Westfalen)

am 16. Mai 2018


Ereignis- und Umgebungseigenschaften:

 

Datum: 16.05.2018

Zeitpunkt: gg. 17:55 Uhr MESZ (~1555 UTC)

Orte: Boisheim, Heidend, Dilkrath, Schellerbaum, Amern

Landkreis: Viersen

Bundesland: Nordrhein-Westfalen

 

Tornado-Intensität: F2 T4 [ca. 180 km/h - ca. 220 km/h]

Tornadoart: mesozyklonal / multivortex

Zugbahn (Länge): 5.4 km

Zugbahn (Breite): 240 m (max.) / 120 m (mittel)

Zugbahnverlauf: NNO-SSW

Koordinatenpunkt: 51.276N 6.275E

Gemittelte Geländehöhe: 53 m üNN

Geländehöhenunterschied: 12 m

Betroffene Bereiche: Gebäude/Bauwerke, Vegetation, Fahrzeuge

 

Übergeordnete Situation: --

Entstehung: Rückseitige Flanke einer starken Gewitterzelle mit Hagel

Begleiterscheinungen: Hagel bis 3.5 cm im Durchmesser in Dilkrath und Heidend


             Foto des Tornados von Boisheim:

                Tornado von Boisheim am 16.05.2018. Fotografiert von Boisheim aus in Richtung Südwesten.

                Foto: Christian Bröxkes (mit freundlicher Genehmigung zur Verwendung)


     Umgebungskarte:

      Fig.1: Umgebungskarte mit Zugbahnverlauf des Tornados in Boisheim und Umgebung am 16.05.2018.    

      Genordet. Karte: OpenStreetMap / Lizenz: ODbL. Kartierung: Tornado-Arbeitsgruppe Deutschland.


           Detailanalysegebiete:

            Fig.2: Karte der Detailanalyse-Areale mit Zugbahnverlauf des Tornados in Boisheim und Umgebung

            am 16.05.2018. Genordet. Karte: OpenStreetMap / Lizenz: ODbL. Kartierung: Tornado-Arbeitsgruppe

            Deutschland.



! WICHTIGE ANMERKUNG !

 

Die Tornado-Arbeitgruppe Deutschland spricht sich klar GEGEN Schadensvoyeurismus aus!

 

Aus Respekt ggü. den Betroffenen und unbedingter Achtung der Privatsphäre, werden keine Detailschadensbilder von Privatgebäuden ohne ausdrückliche Zustimmung und Verwendungsgenehmigung der Betroffenen veröffentlicht. Wissenschaftliches Arbeiten funktioniert nur mit bedingungsloser Offenheit, Ehrlichkeit, fachlicher Gewissenhaftigkeit und Transparenz, als Grundlage für ein kompetentes und objektives Urteilsvermögen.



Beschreibung der Zugbahn und der Schäden:

 

Kurzzusammenfassung:

 

Der Tornado entstand kurz vor 18 Uhr Ortszeit knapp nordöstlich von Boisheim und zog in süd-südwestlicher Richtung über Boisheim, den Ortsteil Heidend, westlich an Dilkrath vorbei bis nach Schellerbaum und in den nördlichen Bereich von Amern. Hieraus ergibt sich eine Zugbahnlänge von ca. 5.4 Kilometern. Die mittlere Breite der Zugbahn kann mit 120 m angegeben werden.

Die maximalste Breite der Schadensspur des Tornados betrug im Bereich des Waldareals von Heidend ca. 240 m. Die Zugrichtung verlief von NNO nach SSW.

 

Die Gebäudeschäden zeigen Intensitäten im Bereich von F0 T1 bis F1 T3.

Auf der Grundlage wissenschftlichen Arbeitens ist die Vergabe von F2 für die Gebäudeschäden ausgeschlossen.

Die Einstufung in F2 T4 erfolgte aufgrund massiver Vegetationsschäden im Bereich Heidend.

 

Die Windmessung einer privaten Agrarstation kann aufgrund fehlender Detailangaben und einiger Unstimmigkeiten nicht als Wert für die Intensitätsbeurteilung des Tornados herangezogen werden (Begründung s.u.).

 

Der Tornado war mesozyklonal [an Mesozyklone einer Gewitterzelle gebunden] sowie mulitvortex [Ausbildung von Satellitenwirbel, die um das Rotationszentrum kreisen] und bildete sich an der Rückseite einer starken Gewitterzelle, welche in den umliegenden Gebieten auch großen Hagel auswarf.

 

 

Zur Bewertung der Schäden an Gebäuden und der Vegetation wurde die Fujita-Skala [Fujita, 1971] in Kombination mit der kleinskaligeren T-Skala [Dotzek, 2001] verwendet - sofern möglich. Bei Vegetationsschäden wurde überdies die Tornado-Schadensmatrix für Vegetationsschäden mit den Klassifizierungskomponenten Damage Indicator (DI), Damage Indicator Subdivision (DIsub) und Degree of Damage (DoD) [Hubrig, 2015] zur Einschätzung verwendet.



Detailbeschreibung:

 

 

1. Entstehungsort:

 

Basierend auf zwei Augenzeugenberichte am Alt-Breyeller-Weg in Boisheim, konnte der Entstehungsort des Tornados bestimmt werden. Demnach bildete sich der Torndo direkt südlich der Bundesautobahn A61 über der lokalen Wiesen- und Agrarfläche Klinkhammer und nahm von hier aus seinen Weg in süd-südwestlicher Richtung nach Boisheim.

 

 

2. Boisheim - nördliche Ortsbereiche

 

Wenige hundert Meter nach seiner Entstehung traf der Tornado die ersten Gebäude am Klinkhammer. Hier konnten nur leichte Schäden an der Vegetation festgestellt werden. Nach Überquerung der Straße Klinkhammer schwenkte der Tornado kurzzeitig in Richtung Süden [Videomaterial] für ca. 100 Meter und drehte dann wieder in Richtung Süd-Südwest. In dieser Richtung fortlaufend wurden die ersten Gebäude und Gärten im Bereich des Alt-Breyeller-Wegs [11-21] getroffen (Fig.3). Die Schäden an den Gebäuden waren auf die Dachbereiche konzentriert. Das Schadensausmaß belief sich auf einzelne herausgerissene Dachziegel [F0T1] bis tendenziell flächig abgedeckte Dachseiten [F1T2-T3]. Die Vegetationsschäden begrenzten sich auf einzelne Bäume, die in den rückwärtigen Gärten der Gebäude entwurzelt bzw. gebrochen wurden [DI 7 / DIsub c / DOD 3 bis DOD 4: ~F1T2]. An der Linder Str. wurden zwei Bäume entwurzelt und in Richtung SSW bzw. WNW zu Fall gebracht. Schäden an windbeständiger Heckenvegetation wurden nicht verzeichnet, wodurch eine Intensitätseinwirkung von mehr als F1T3 ausgeschlossen werden kann.

Nach Überquerung der Linder Str. mit Beschädigung eines Gebäudes [F1T2] folgte der Tornado weiter seinem Kurs in Richtung SSO entlang der Grundstücke des südlichen Alt-Breyeller-Wegs und der südöstlichen Bonesender Str. (Fig.3). An neun Gebäuden im Alt-Breyeller-Weg [23-37] wurden Beschädigungen der Dächer unterschiedlichen Ausmaßes registriert, wobei alle Häuser, die an der östlichen Straßenseite standen, Schäden aufwiesen. Die Art der Dachschäden zeigte sich in Form von einzelnen herausgelösten Dachziegeln [F0T1 - 1 Schadensort], leicht flächigerem Herauslösen der Dachziegel an kleineren Dachflächen [F1T2 - 5 Schadensorte] bis hin zu großflächigem Abtragen der Dachdeckung [F1T3 - 2 Schadensorte]. An einem weiteren Gebäude konnte aufgrund unklarer Bausubstanz keine Einstufung vorgenommen werden. Im Bereich der südöstlichen Bonesender Str. [27-42] wurden 5 Gebäude beschädigt. Das Schadensausmaß war mit dem des Alt-Breyeller-Wegs vergleichbar. An zwei Gebäuden konnten größerflächige Abtragungen von Dachziegeln verzeichnet werden [F1T3].

 

Vergrößerungskarte 1:

Schadenserkundung Boisheim: Alt-Breyeller-Weg, Linder Str. und Bonesender Str.

Fig.3: Vergrößerungskarte 1 - Boisheim, Linder Str. / Alt-Breyeller-Weg. Genordet. Schadenspunkte der Gebäude mit Intensitätsangabe in Fujita-Skala / T-Skala und Vegetation mit Fallrichtungsangaben (Pfeile) sowie Tornadozugbahnbegrenzung. Genordet.

Karte: OpenStreetMap / Lizenz: ODbL. Kartierung: Tornado-Arbeitsgruppe Deutschland.

 

Im rückwärtigen Gartenbereich eines Grundstücks wurde ein, durch den Tornado bewegter oder kurzstreckig verschobener, Camping-Wohnanhänger vorgefunden. Solche Anhänger wiegen nach Herstellerangaben ungefähr 750 kg +/- 150 kg, wodurch das Bewegen, Umkippen (relativ große Windfläche) oder auch kurzstreckiges Verschieben / Ziehen oder kurzzeitiges Abheben durch Windeinwirkung mit der Intensität F1 abgedeckt ist. Dies belegen auch die fehlenden Beschädigungen an Hecken und Buschwerk in diesem Bereich, die bei einem Tornado der Intensität F2 hätten vorgefunden werden müssen. Die Fallrichtungen einzelner genickter und entwurzelter Bäume tendierten von SSO bis OSO (was einer deutlichen Gegenläufigkeit bzw. Konvergenz entspricht). Drei jüngere Straßenbäume entlang des Alt-Breyeller-Wegs zeigten nur sehr geringfügige Schäden an einzelnen Ästen. Der Tornado überquerte hiernach die Bahnstrecke und zog in Richtung Raiffeisenstraße und Nettetaler Str. (L29) weiter. Vereinzelt wurden Dachziegel abgehoben, wenngleich das Schadensausmaß von F0T1 nicht mehr überschritten wurde. An der Nettetaler Str. wurden mehrere kleinere und mittelgroße Baumkronenteile aus Laubbäumen abgebrochen [DI 3 / DIsub c / DOD 2: ~F0T1]. Es ist anzunehmen, dass der Tornado im weiteren Verlauf der Bereiche Hoferkamp, Auf dem Kamp und Friedhofsweg nicht an Intensität zunahm, da nur leichte Vegetationsschäden verursacht wurden.


3. Boisheim - Friedhof

 

Im Bereich des Friedhofs (Friedhofsweg / Ecke / Pastoralstraße) ist eine plausible Zunahme der Intensität zu verzeichnen, da hier mehrere große und gesunde Bäume entwurzelt und gebrochen wurden. Durch das Aushebeln der Wurzelteller und Baumkronenschläge wurden einzelne Grabstellen und Grabsteine stark beschädigt. Kleingewächse, Hecken und Koniferen zeigten keine Beschädigungen, sodass man die Intensität des Tornados in diesem Bereich mit unterem F1 angeben kann [DI 7 / DIsub c / DOD 3 bis DOD 4: ~F1T2].

 

Schäden auf dem Friedhof Boisheim:


4. Boisheim - Schaager Str. / Brüggener Str.

 

Weiter in Richtung SSW traf der Tornado die bewaldeten Bereiche am Waldweg sowie Bäume und Gebäude an der südlichen Boisheimer Str., Schaager Str., Brüggener Str. und am Weg Zum Sonnenbach. Vor allem im Bereich der Schaager Straße bis Zum Sonnenbach wurden fast alle Bäume entwurzelt, gebrochen oder abgedreht. Nur kleinere Jungbäume überstanden die Windeinwirkung an diesem Ort. Vereinzelt wurden durch Trümmerschlag Baumrinden abgeschlagen [kein Indiz für höhere Intensität]. Stammbrüche bei massiven Buchen lagen nicht vor, sodass die Intensität an diesem Schadenspunkt mit solidem F1 beschrieben werden kann [DI 7 / DIsub c-d / DOD 3 sowie DOD 4: ~F1T3].

Kleinere Schäden an Gebäuden und an weiteren Gegenständen (zB. Ortseingangsschild), größtenteils durch Trümmerschlag der beschädigten Vegetation verursacht, waren ebenfalls zu verzeichnen. Die Breite der Zugbahn des Tornados kann hier mit ca. 200 m angegeben werden. In diesem Bereich vollzog der Tornado einen leichten Schwenk in Richtung SW. Während der Überquerung der Brüggener Str. schwenkte der Tornado in Richtung Süden und behielt diese Zugrichtung bis auf Höhe der Landstraße L3 im lokalen Gebiet Heidend bei.

 

Schäden im Bereich Schaager Str., Zum Sonnenbach und Brüggener Str.:


5. Heidend - nördlicher Bereich

 

Der Tornado traf den lokalen Siedlungsbereich Heidend aus Richtung Norden kommend und schwenkte auf Höhe der Landstraße L3 und des nördlichen Hofs Heidend in Richtung SSW. Der Schadensbereich, begrenzt durch die Brüggener Str., Zum Sonnenbach und der L3, kann hier sehr deutlich mit einer Breite von 190 m angegeben werden. Im westlichen Begrenzungsbereich traten starke Vegetationsschäden am dortigen Waldrandbereich auf. Da es sich hierbei und windwiderstandsfähige Bäume am Waldrand handelte, die zudem dumfassende Stammbrüche aufwiesen, kann dieser Schaden mit F2T4 bewertet werden [DI 3 / DIsub e / DOD 4: F2T4].

 

Das Feld westlich der Landstraße L3 zeigte deutliche Winddruckspuren mit konvergentem Druckmuster. Die Gebäude des Hofs wiesen geringe Schäden an den Dächern [F0T1 bis F1T2] auf, während die Jungbaumpflanzungen auf dieser Höhe westlich der L3 keine signifikanten Vegetationsschäden zeigten. Da Jungvegetation wesentlich windresistenter ist als ältere und erwachsene Vegetation, kann eine signifikante Intensität des Tornados (d.h. stärker als F1) ausgeschlossen werden.

 

Nördlicher Bereich Heidend mit Landstraße L3. Blickrichtung Süden.


6. Heidend - Waldareal an der Landstraße L3

 

Kurz vor dem Erreichen eines kleinen Waldgebiets überquerte der Tornado die Landstraße L3. Zwei Autos, ein PKW und ein Wirtschaftstransporter, wurden von dem Tornado überrascht, hielten an und ließen sich von dem Wirbel überrollen. Aus den Eindrücken eines Videos ist erkennbar, dass die Autos durch Windeinwirkung nicht verschoben wurden. Ein nebenstehender jüngerer Straßenbaum blieb (nach grober Einschätzung) weitesgehend unbeschädigt. Des Weiteren geht aus der Videoaufnahme hervor, dass der Tornado Satellitenwirbel bzw. Begleitwirbel (multivortex) hatte. Eine ähnliche Beobachtung lieferte auch ein Augenzeuge am Alt-Breyeller-Weg in Boisheim. Ein Multivortex-Tornado ist daher als verifiziert zu betrachten.

 

Das Waldareal entlang der Landstraße L3 wurde auf der gesamten Länge, auf welcher die L3 das Gebiet durchquert (ca. 180 m), verwüstet. Das Gesamtgebiet der Waldschadensfläche maß ca. 180 m Länge und ca. 240 m Breite. Kurz vor dem Erreichen des Waldgebiets, und kurz nach dem Überqueren der beiden Fahrzeuge an der L3, muss der Tornado deutlich an Intensität zugenommen haben. Grundlage für diese Einschätzung sind zwei, ostseitig der L3 vorgefundene Straßenbäume, die massive Stamm- und Baumkronenbrüche aufwiesen. Am nördlichen Waldrand überstanden nur wenige Waldrandbäume die Windeinwirkung des Tornados. Neben Entwurzelungen lagen vor allem Stammbrüche widerstandfähiger und gesunder Bäume vor [F1-F2], sowie deutliche Torsierungen (Baumkronenabrisse und weitgehende Entastungen) [DI 3 / DIsub d / DOD 3 sowie DOD 4: ~F2T4]. Im Waldesinneren wurde die Mehrzahl der Bäume entwurzelt, wobei nur einzelne Eichen und Buchen nicht entwurzelt wurden, sondern schwere Stammbrüche und Torsierungen erlitten. Ein weiterer massiver und gesunder Straßenbaum (eine Eiche mit einem geschätzten Stammdurchmesser von ca. 1 m), welcher sich am südlichen Waldrandausgang befand, erlitt einen kompletten Stammbruch in ca. 2 Metern Höhe. Der Tornado hatte nicht die Kraft den gesamten oberen Baumtrakt abzutragen oder zu verfrachten [daher keine größere Intensität als F2], aber das Brechen dieses massiven Baumes zeigt deutlich eine Tornado-Intensität in F2 an diesem Punkt an  [DI 1 / DIsub c / DOD 4: ~F2T4]. Zudem scheint diese Intensität auch für das gesamte Waldareal zum Großteil stimmig zu sein, da ca. 90% der Bäume innerhalb der Tornadozugbahn die Windeinwirkung nicht überstanden, und zudem, sofern nicht entwurzelt, stark torsiert worden sind. Vor allem bei gesunden Buchen zeigt die Stammtorsierung deutliche F2-Intensität an [DI 2 / DIsub c-d / DOD 4: ~F1T3-F2T4]. Die Fallrichtungen der Bäume und Abwurfrichtungen der Vegetationstrümmer zeigen ein deutliches tornadisches Muster. Auf den Luftaufnahmen ist ein Zueinanderlaufen der Fallrichtungen der Bäume (Konvergenz) sehr deutlich erkennbar (Fig.4). Dieses Schadensbild kann als exemplarisch für ein Tornadomuster in einem Vegetationsgebiet betrachtet werden. Einzelne Vegetationstrümmer wurde in Zugrichtung des Tornados noch ca. 200 Meter mitgeführt.

 

Heidend - Waldareal.

 

Vergrößerungskarte 2:

Schadenserkundung Heidend Waldareal / Landstraße L3

Fig.4: Vergrößerungskarte 2 - Boisheim, Ortslage Heidend (Bullemer Seite und Waldareal an der L3). Genordet. Schematische Fallrichtungstendenzen der Bäume im relativen Umfeld (Pfeile), Einzelbäume (nach Auswahl) sowie Tornadozugbahnbegrenzung.

Karte: OpenStreetMap / Lizenz: ODbL. Kartierung: Tornado-Arbeitsgruppe Deutschland.


7. Heidend - Ortschaft

 

Der Tornado zog, weiter in Richtung SSW folgend, leicht östlich der Landstraße L3 entlang. Bei einer relativ konstanten Zugbahnbreite von ca. 200 m wurden einzelne Bäume entlang der L3 und zum Teil auch im westlich der Straßen angrenzenden Waldgebiet entwurzelt oder gebrochen [DI 3 / DIsub c-d / DOD 3: F1; sowie: DI 4 / DIsub c-d / DOD 3: F1]. Nach ca. 450 m Wegstrecke wurde der westlichste Rand des Ortes Heidend getroffen. Die Schäden an den betroffenen Gebäuden beliefen sich auf leichte Dachschäden im Intensitätsbereich F0-F1.


8. Dilkrath

 

Den westlichen Teil Heidends verlassend zog der Tornado weiter in Richtung SSW, ca. 150 m bis 250 m westlich an Wirtschaftsgebäuden von Dilkrath vorbei. Ein Augenzeuge filmte den Tornado von der Straße Vorstadt / Ecke / Boisheimer Str. aus in Richtung Westen. Eine weitere Tornadobeobachtung fand im Ortsbereich zwischen der Straße Genend und der Boisheimer Str. statt und zeigte, dass der Tornado unverändert seinen Weg in Richtung SSW fortsetzte. Während der Tornadobeobachtungen wurde von beiden Standorten Hagel um 3cm im Durchmesser (oder zum Teil auch leicht größer) registriert.


9. Schellerbaum und Amern

 

Der Tornado traf die nordwestlichsten Ortsbereich von Schellerbaum auf Höhe des Gebiets des Brüggener Wegs, der Straße Schellerbaum und der Schellerstraße (Landstraße K7). Des Weiteren überquerte der Tornado von NNO her kommend den Weg Schieferdyck, westlich von Schellerbaum. Ab diesem Bereich schwenkte der Tornado in Richtung SW und traf nach 500 m Wegstrecke den Bereich der Kasender Str. (Landstraße K20) im nördlichen Ortsbereich von Amern. Am Ortseingang wurde eine Eiche entwurzelt [ DI 1 / DISub c / DOD 3: F1]. Ein weiterer Baum (Eiche) zeigte starke Bruchschäden im Baumkronenbereich und an Stark-Ästen. Nach der Schadensmatrix für Vegetationsschäden (Hubrig, 2015) liegt die Schadensklassifizierung in DI 1 / DISub c / DOD 2 vor, was einer Intensitätseinstufung in F0T1 entspricht.

Es ist anzunehmen, dass sich der Tornado nach Überquerung der Kasender Str. über dem nachfolgenden Areal, begrenzt durch Winkels Feld, Heidweiher Str., Winkel und Pletschweg, auflöste.


Zur Bewertung der Schäden an Gebäuden und der Vegetation wurde die Fujita-Skala (Fujita, 1971) in Kombination mit der kleinskaligeren T-Skala (Dotzek, 2001) verwendet - sofern möglich. Bei Vegetationsschäden wurde überdies die Tornado-Schadensmatrix für Vegetationsschäden (Hubrig, 2015) verwendet.



Meteorologisches Umfeld:

Fig.5: IRAS_BasicCII: Low Level Reflectivity / Niederschlagsreflektivität. Skywarn Deutschland e.V.

Der Tornado entstand an der Rückseite eines Gewitters (Fig.5), welches von NNO nach SSW zog. Aufgrund der relativ hohen Wolkenbasis und der trockenen Luftschichtung unterhalb 1.000 m über Grund ist es zu erklären, dass der Tornado nicht vollständig auskondensiert war. Der auskondensierte "Trichter" nimmt lediglich 1/3 der Wolke-Boden-Distanz ein. Die Rotationsachse wird maßgeblich durch aufgewirbelten Sand und Erdmaterial sichtbar. Hieraus erklärt sich die gräulich-rote Farbe des Tornadofußes im Gegensatz zur Basiswolke (grau). 

Der Tornado wurde von Hagelschlag begleichtet. Meldungen von großem Hagel (2 cm i.D. bis 4 cm i.D.) gab es ab ca. 30 Minuten bis 5 Minuten vor dem Tornado in der Orten Inrath, Krefeld (westl. Ortsteile), Tönisvorst, Anrath, Süchteln und Bistard. Des Weiteren wurde großer Hagel um 3 cm i.D. in den Orten Heidend (Dorf) und Dilkrath während des Vorbeizugs des Tornados beobachtet.

Fig.6: Doppler Radar Sweeps 0.5°. kachelmannwetter.com

Das Doppler Radar (Sweeps 0.5°; Fig.6) zeigt einen erkennbaren Dipol im Nordrand des Gewitters zwischen Brüggen und Viersen (innerhalb des gelben Kreises).

Fig.7: Sounding Essen (10410) 12Z. University of Wyoming.

Das Sounding von Essen 12Z (Fig.7) zeigt eine potentielle Instabilität der freien Atmosphäre vom Boden bis auf 530 hPa und ein hohes Hebungskondensationsniveau bzw. Lifting Condensation Level (LCL) in ca. 1.100 m über Grund, was für eine relativ hohe Wolkenbasis bei erwarteten Gewittern sprechen würde. Die Windrichtungsscherung in unmittelbarer Bodennähe ist markant und wird mit 35° in 100 m Höhe über Grund und mit 60° in 500 m über Grund angegeben. Geschwindigkeitsscherung unterhalb von 1 Kilometer über Grund ist nur sehr marginal vorhanden.



! WICHTIGE ANMERKUNG !

 

Windgeschwindigkeitsmessung einer Agrarwetterstation:

 

Über den Kurznachrichtendienst Twitter verbreitete sich am 17. Mai 2018 die Meldung, dass der Tornado über eine Wetterstation gezogen sei und diese eine Windgeschwindigkeit von 223 km/h gemessen haben soll. Die reine Windgeschwindigkeitsangabe würde eine Intensität von F2T5 begründen, doch gibt es im Zusammenhang mit dieser Messung einige Fragen bzw. Unstimmigkeiten, die uns aus wissenschaftlicher Sicht davon abhalten jene Messung bei der Tornado-Intensitätsklassifikation zu berücksichtigen:

 

Art der Wetterstation: Privat/Geschäftl. Agrarstation (mobil) [keine Station eines Wetterdienstes]

Genauer Standort der Station: unklar

Stationsmessung nach WMO-Standards: unklar

Messungen der Station geeicht: unklar

Angabe zur Messfehlertoleranz: unklar

Zeitpunkt der Messung: 17:37 Uhr MESZ [der Tornado ereignete sich 8-15 Min. später]

Originalquelle: Privatperson via Twitter inkl. Foto [kein Wetterdienst / kein Augenzeuge]

Kontaktverhalten der Originalquelle: Keine Antworten auf Anfragen via Twitter oder E-Mail

 

Aufgrund dieser Faktenlage muss die grundlegende Glaubwürdigkeit der Stationsmessung und auch der Originalquelle infrage gestellt werden. Eine Verwendung des Messwertes für die Beurteilung dieses Tornado-Ereignisses ist auf Grundlage wissenschaftlichen Arbeitens ausgeschlossen!

 

Vor diesem Hintergrund muss auch die Frage gestellt werden, weshalb die Informationen zu dieser Messung unreflektiert und unkontolliert auf SocialNetwork-Seiten verschiedener Informations- und/oder Wetterdienstleisterpräsenzen veröffentlicht wurden. Eine Überprüfung der Angaben zur Messung oder zumindest eine Überprüfung auf Plausibilität fand demnach gar nicht oder nur unzureichend statt. Die vorschnelle und übereifrige Informationsverbreitung unter der Prämisse einer de facto Sachlagen-Darstellung, ist aus wissenschaflicher Sicht als mindestens grob fahrlässig, unverantwortlich und unglaubwürdig zu bewerten.



Videoaufnahmen zum Tornado von Boisheim:

                        Boisheim:

                        Heidend:

                        Dilkrath:


Weiterführende Informationan / Media-Links:

 

Tornadoliste Deutschland


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Marco Bayer - Fotomaterialien

Christian Bröxkes - Fotomaterialien

Luftaufnahmen Niederkrüchten - Fotomaterialien

Kachelmannwetter - Radarbilder

Skywarn Deutschland e.V. - Radarbilder


Schadenserkundung, Ereignisanalyse und Dokumentation:

 

Hubrig / Kühne / Sävert / Schlenczek / Dirksen / Ölsner

16. - 21 Mai 2018



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