Microburst / Fallwind in Catharinau (Thüringen)

am 4. April 2018


Ereignis- und Umgebungseigenschaften:

 

Datum: 04.04.2018

Zeitpunkt: gg. 18:30 Uhr MESZ (ca. 1630 UTC) ±10 Min.

Orte: Catharinau

Landkreis: Saalfeld-Rudolstadt

Bundesland: Thüringen

 

Ereigniseigenschaften:

 

Intensität: F1 [ca. 120 km/h bis ca. 180 km/h]

Fallwindart: Microburst

Wirkungsfläche Länge max.: 280 m

Wirkungsfläche Breite max.: 180 m

Wirkungsfläche Diagonale (e): 170 m

Wirkungsfläche Diagonale (f): 130 m

Wirkungsfläche Areal: ca. 2 ha

Wirkungsverlauf: WSW-ONO

Koordinatenpunkt: 50.718N 11.398E

Gemittelte Geländehöhe: 203 m üNN

Geländehöhenunterschied: 12 m

Betroffene Bereiche: Gebäude/Bauwerke, Vegetation, Elektroversorgungsanlagen


Karte:

Karte: OpenStreetMap / Lizenz: ODbL. Kartierung: Tornado-Arbeitsgruppe Deutschland. Schadensstellen / Verfrachtungspunkte (orange/rot), Vegetationsschäden (grün), nachvollziehbare Verfrachtungsrichtungen von Trümmermaterialien (Pfeile).


Beschreibung des Schadensgebiets und der Schäden:

 

Am 4. April 2018 zog gegen Abend eine ausgeprägte Gewitterlinie über Teile Thüringens. Vereinzelt kam es zu Schäden durch Starkwindereignisse (zB. Meuselbach, Oberweißbach, Raum Erfurt, Raum Schmalkalden, und weiteren). Aus dem Ort Catharinau, 4 km östlich von Rudolstadt im Landkreis Saalfeld-Rudolstadt, wurde berichtet, dass das Gelände einer Agrargenossenschaft beschädigt wurde. Die Landespolizeiinspektion Saalfeld der Thüringer Polizei veröffentlichte am 5. April eine Mitteilung mit der Angabe, das die Sturmschäden durch eine Windhose verursacht worden seien. Weitere Printmedien folgten dieser Angabe und übernahmen den Begriff Windhose in ihren Veröffentlichgungen.

 

Die schadensanalytische Erkundung wurde von der Tornado-Arbeitsgruppe Deutschland am 8. April 2018 vorgenommen. Viele der Dach- und Solarmodul-Trümmer waren aus dem Schadensareal bereits entfernt worden. Das abgedeckte Stallgebäude auf dem Agrarhof, die beschädigte Biogasanlage, die stark beschädigte Solaranlage und vor Ort befindliche Vegetationsschäden waren noch auffindbar. Mittels Foto- und Videomaterialien, welche am 4. April und am 5. April von Augenzeugen gemacht wurden, konnte man sich ein genaues Bild der Trümmerteile, der Trümmerflugrichtungen, der Verfrachtungsentfernungen, der Einschlagsursachen und der Einschlagseinwirkungen verschaffen. Nach abschließender Auswertung der Analyse-Ergebnisse konnte ein klassischer Microburst (sehr kleinräumiger Fallwind) als Auslöser der Schäden nachgewiesen werden. Ein Tornado ist im Fall Catharinau nach schadensanalytischer Auswertung ausgeschlossen.

 

Ausgehend von einem Stallgebäude auf dem Agrarhof Catharinau (Position bei 50.7172N 11.3965E) konnten die Flugbahnen vieler Trümmerteile bzw. Verfrachtungsgegenständen plausibel nachvollzogen werden. Demnach wurde das Dach des Stalls mitsamt Solarmodulaufbau abgehoben und Teile der dazu gehörigen Trümmer in Richtungen von NNO bis OSO in ausgefächerter Form verteilt. Bei den Trümmerteilen handelte es sich im Einzelnen um Metalldachteile (Einzelteile und auch größere Verbundstücke), einzelne Teile der Holzverbundkonstruktion (vermutlich stammend von Eckseiten des Daches, da die Dachstuhlkonstruktion überwiegend noch auf dem Gebäude vorhanden war) und Solarmodule der Photovoltaik-Anlage, die auf dem betroffenen Stalldach installiert waren. Zudem zeigte das Dach (Kunststoffhülle) der nordöstlich vom Stallgebäude gelegenen Biogasanlage Schäden an der Außenhaut [auf der Karte orangener Kreis mit rotem X]. Dieser Schaden wurde durch Trümmerflug verursacht, welcher die Hülle im unteren Bereich traf (ca. 7-9 m Höhe). Das Stalldach wurde auf eine Höhe von 5-6m geschätzt, sodass die Höhendifferenz von 2-4 Metern bei einer Distanz von 40 Metern auf einen sehr flachen Trümmerflug hinweist.  Direkt südlich des Daches der Biogasanlage befindet sich der Werksturm dieser Anlage [auf der Karte kl. schwarzer Kreis mit schwarzem X]. Der Turm ist unwesentlich höher (ca. 10-12 m über dem Boden), sodass angenommen werden kann, dass dieses Gebäude ebenfalls dem Trümmerflug ausgesetzt gewesen sein muss. Nach plausibler Rekonstruktion der angenommenen Flugbahnen, basierend auf Einschlagsstellen und Verfrachtungsmaterialien, kann angenommen werden, das direkt hinter dem Werksturm (im Lee des Turms) ein schmaler Schattenbereich ohne Trümmereinschläge und Ablage von Verfrachtungsmaterialien vorlag. Die Auswertungen der Foto- und Videomaterialien scheinen diese Annahme zu bestätigten. Im Rückschluss daraus kann angenommen werden, dass die abgerissenen Dachteile und Dachaufbauten eine vertikale Höhe von 10 Metern während des Fluges nicht überschritten und Materalien, die in Richtung des Werkturms flogen, dieses Gebäude nicht überfliegen konnten. Die Gesamtläge des beschädigten Stalldaches beträgt ca. 20 Meter, sodass bereits ein vom Wind verursachtes Hoch- bzw. Aufklappen der halben Dachfläche die angenommenen 10 Meter in der Vertikalen erreicht hätte. Insgesamt konnten 54 einzelne Großeinschlagsspuren der Trümmerteile analysiert werden mit dem Ergebnis, dass die Trümmerverteilung eine großflächige Auffächerung von bis zu 80° aufzeigt. Die weiteste Trümmerflugspur nach NNO (ca. 210 m) konnte an zwei Bäumen am Fluss Saale direkt neben der Landstraße [K18] festgestellt werden. Durch Trümmerflug (Metallteile des Stalldaches) wurden zwei mittelgroße Äste abgeschlagen, wobei die Astreste im bzw. unterhalb des Baumes auffindbar waren. Verfrachtungen von Vegetationteilen waren nicht vorhanden, sodass diese Baumschäden im Umkehrschluss nicht auf starke Windeinwirkung, sondern auf Trümmerschlag zurückzuführen sind. Entlang der Baumreihen am Hang zur Saale, nordöstlich des Stallgebäudes, wurden mehrere Metalldachverfrachtungen und -ausrisse festgestellt, die zum Teil als Kleintrümmer unterhalb oder in den Bäumen lagen / hingen. Die insgesamt 6 Einzelteile flogen zwischen 80 m (kürzeste Distanz) und 160 m (längste Distanz). Ein Großteil des Metalldaches lag in 130 Metern Entfernung vom Stallgebäude, wobei eine Winkelabweichung von ca. 30° nach Nordost vorlag. Hier muss angefügt werden, dass Metalldächer dieser Art sehr gute Segeleigenschaften haben und bereits von Sturmböen nach Ablösung von einem Dach mehrere Dekameter durch die Luft transportiert werden können (horizontal fliegend oder auch fliegend / rollend). Die Wiese zwischen der Biogasanlage und der Solaranlage nahe der Straße K18 wieß ebenfalls Einschlagspuren von Trümmerflug auf. Vor allem im südlichen Bereich der Wiese, direkt an der Straße Am Felsen, gab es Schäden an zwei Jungbäumen und deren Baumstützen. Einer der Bäume wieß den Bruch der Baumkrone auf, wobei die Baumstützen ebenfalls gebrochen waren. Starken Einschlagsspuren in nächster Nähe zufolge wurde dieser Schaden durch Trümmerschlag verursacht. Der Asphalt der Straße zeigte noch Spuren von Glassplitterung, sodass angenommen werden kann, dass Reste der Dachsolarmodule hier aufschlugen. Südlich der Straße wurden zwei Jungbäume in Richtung ONO gebogen. Die völlig unbeschädigten Bäume ringsum und der 1 Meter hinter den Bäumen befindliche eingedrückte Metallzaun mit deutlichen Schlagspuren weisen ebenfalls auf Trümmerschlag hin. Ein ähnliches Bild zeigte ein einzelner Jungbaum ca. 30 Meter weiter östlich am Wendeplatz der Straße. Dieser Baum wurde mitsamt Baumstützen niedergedrückt. Auffindbare kleine Glassplitter, Reste von Plastikhalterungen und niedergedrückte Grasflächen erhärten die Annahme, dass hier Trümmerflug das Niederdrücken dieses Baumes verursachten. Die Flugdistanz vom Stalldach bis zu diesem Schadenspunkt liegt bei 190 Metern. Am stärksten betroffen war die Photovoltaik-Anlage zwischen der Wiese und der Landstraße. Trümmerschlag der Dachreste sowie der Dachsolarmodule (Flugdistanz ca. 140 bis 190 Meter) verursachten in den untersten sechs Standreihen schwere Schäden. Viele Solarmodule der Anlage wurden ausgeschlagen. In drei Fällen wurden Flächen gefunden, bei denen neben den Solarmodulen auch die Metallhalterungsaufbauten zerstört wurden. Es ist anzunehmen, dass die bis hier hin verfrachteten Dachsolarmodule in größeren zusammenhängenden Teilen niederstürzten. Teile des westlichen und östlichen Zaunfeldes, welches die Photovoltaik-Anlage umgibt, wurden niedergedrückt. Dies erfolgte ebenfalls durch Trümmerteile einzelner Dachsolarmodule (sichtbar auf Fotomaterialien vom 5. April). Jenseits der Landstraße K18 wurden zwei Bäume beschädigt. Auf Fotomaterialien vom 5. April konnte erkannt werden, dass Trümmerteile des Metalldaches in den Bäumen hingen und diese Schäden verursachten. Zudem ist bei der Vor-Ort-Erkundung festgestellt worden, dass die abgeschlagenen Kleinäste direkt in den Bäumen hingen (analog zum Schaden an der Saale, nur in kleinerem Ausmaß). Des Weiteren geht aus den frühen Foto- und Videomaterialien hervor, dass einzelne Metalldachteile bis auf das Feld zwischen der Landstraße K18 und der Landstraße K121 in Richtung Kolkwitz geflogen sind. In der größten Entfernung vom Stallgebäude aus ergibt sich eine Flugdistanz von 280 Metern. Diese Materialien waren kleine Bruchstücke des Metalldaches, welche möglicherweise beim Überklappen der Dachkonstruktion am Beginn der Schadensstelle oder durch Aufprall am Werksturm von der Metallsubstanz abgerissen wurden. Diese leichteren Materialien flogen in Verlaufsrichtung am weitesten. Im Zusammenhang mit den fehlenden Vegetationschäden durch reine Windeinwirkung entlang der Landstraße K18 und der weitesten Verfrachtungen leichtester Trümmerteile kann ein fallwindtypisches Ausfließen plausibel angenommen werden.

 

Aufgrund der geringen vertikalen Hebung des Daches, der flachen Flugbahnen, der weitläufigen Ausfächerung der Trümmerflüge, der Ausrichtungen der Ausfächerungen (Antivergenz) von bis zu 80° (von NNO bis OSO), der fehlenden rückwärtigen Verfrachtungen, des plausiblen Ausfließens des Starkwindfeldes und der fehlenden weiteren Windeinwirkungen bei Vegetation und anderen Gebäuden im Schadensumfeld, konnte die Windursache als Microburst belegt werden. Ein Tornado ist aufgrund der genannten Schadens-, Trümmerflug-, Einschlags- und Flugeigenschaften ausgeschlossen.

 

Ob es sich bei dem vorliegenden Fall um einen Dry Microburst handeln könnte, welcher vor der Gewitterlinie stattfand, muss noch abschließend geklärt werden.

 

Auffindbare stärkere Vegetationsschäden entlang der Saale im Bereich zwischen Unterhasel und Kolkwitz zeigten fortgeschrittene Witterungsspuren, sodass diese Schäden im Zusammenhang früherer Sturmlagen vom Januar 2018 bis Anfang März 2018 stehen dürften. Ein Zusammenhang zum Fall vom 4. April ist hierbei ausgeschlossen.

Copyright/Urheber aller Fotos: Thilo Kühne.


Radar:

IRAS_Explorer II: Low Level Reflectivity. Neuhaus 1640UTC. Skywarn Deutschland e. V.

 

IRAS_BasicCII: Doppler Velocity 2KM. Neuhaus 1639UTC. Skywarn Deutschland e. V.

Auf dem Doppler-Radar ist zu erkennen, dass sich im Umfeld zum Ort Catharinau (siehe Pfeil und Kreis als Lagemarkierung) keinerlei Dipol erkennen lässt. Die detektierten Windfelder der untersten 2-3 km der freien Atmosphäre verlaufen geradlinig vom Radarstandort weg (d.h. in Richtung ONO).


Warum war der Fall Catharinau ein Fallwindereignis und kein Tornado? 

 

Zum allgemeinen Verständnis möchten wir hier eine Kurzfassung der Indizienlage für einen Microburst im Fall Catharinau aufführen. Um eine Unterscheidung von Tornado-Indizien klarzustellen sind die Indizien für den Microburst GRÜN angeführt, während die ROT angeführten Darstellungen aufzeigen sollen, wie die jeweilige Schäden / Indizien in Catharinau vorgelegen haben müssten um als deutliche Tornado-Indizien gelten zu können.

 

1. Windeinwirkung

Punktuell. Alle vorfindbaren Schäden (mit Ausnahme des Stalldaches) sind ursächlich auf Trümmerflug und Trümmereinschlag zurückzuführen, welche von einem einzelnen kleinen Schadensausgangspunkt stammten.

Fortlaufend. Erkennbare Schadensspur mit mehreren Schadensausgangspunkten in einer Linie (Schneise).

 

2. Vertikaler Impuls

Sehr gering. Abgehobenes Dach konnte nebenstehende Bauwerke nur teilweise überfliegen, sodass bereits bei einer vertikalen Auffaltung des Daches die Verfrachtungshöhe erreicht wurde (siehe Schäden an Biogasanlage und plausibler Lee-Schatten hinter dem Werksturm).

Sehr groß. Das Dach wäre weitaus höher in die Luft gerissen und ggf. in viel kleinere Elemente zerrisen worden.

 

3. Vergenz (Äußere Schadensareale)

Antivergenz. Breite Auffächerung des Trümmerflugs und der Schadenspunkte durch Trümmerschlag an den äußeren Schadensarealbegrenzungen.

Konvergenz. Schmale Schadensspur mit teils gegenläufigem Trümmerflug (durch Rotation). Bei zyklonalen Tornados Verfrachtungstendenzen mit linksseitiger Abwurf-Dominanz, bei antizyklonalen Tornados mit vorwiegend rechtsseitiger Abwurf-Dominanz. Antivergenz zu beiden Seiten ausgeschlossen.

 

4. Vergenz (Innere Schadensareale)

Divergenz. Trümmerteile im inneren Schadensareal wurden divergent verfrachtet, d.h. geradlinig / tendenziell parallel mit nur extrem geringfügigen Abweichungen (bedingt durch unterschiediche Schwere und Flugeigenschaften der entsprechenden Teile). Keine Richtungsablenkung.

Konvergenz. Trümmerteile wären, den Wirbel umlaufend, rotierend geflogen und wären durch fortlaufende vertikale Impulse der Rotation erneut beschleunigt worden. Trümmerabwurf hätte überwiegend konvergent (d.h. gegenläufig) vorliegen müssen und hätten ggf. am Boden einen optisch chaotischen Eindruck hinterlassen. Tornados mit schneller Fortbewegungsgeschwindigkeit könnten auch eine teilweise divergente Schadensausprägung hinterlassen, doch zeigen diese Fälle an den Schneisenrändern konvergente Fallrichtungstendenzen.

 

5. Rückseitige Verfrachtung von Trümmerteilen

Nicht vorhanden. Alle Materialien wurde in Verlaufsrichtung antivergent und divergent verfrachtet.

Vorhanden. Ein Tornado hätte Materialien auch rückseitig im Schneisenbereich abgeworfen.

 

6. Vegetationsschäden

Ausschließlich durch Trümmerschlag. Alle Vegetationsschäden sind ursächlich auf Trümmerschlag zurückzuführen. Keine Schäden durch direkte Windeinwirkung feststellbar.

Überwiegend durch Windeinwirkung. Die meisten Vegetationsschäden sind ursächlich auf Windeinwirkung des Tornados zurückzuführen. Vegetationsschäden durch Trümmerschlag sind Begleiteffekte.

 


Weiterführende Informationen / Medieninformationen:

 

Tornadoliste Deutschland

 

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